Wie erkennt man Bindungsangst? Hinter Unsicherheiten und Entscheidungsschwierigkeiten, hinter Ängsten vor Beziehungen oder dem Einlassen auf eine tiefe Bindung verbergen sich oftmals ernstzunehmende Bindungsstörungen.
Vielleicht hast du mal eine Beziehung mit jemandem geführt, der solche Bindungsstörungen hat – oder erkennst an dir selber Ängste, dich auf Beziehungen einzulassen- dieser Text soll dir dabei helfen, diese Ängste zu verstehen und einen Umgang mit ihnen zu finden. Falls ja, sagt das auch etwas über Dich selbst aus, denn fast immer ist Bindungsangst ein Phänomen, das beide Partner betrifft.
Eine konkrete Anleitung, um Bindungsangst zu verstehen und überwinden zu können, findest Du in unserem Ratgeber:
Der Ursprung der Fähigkeit, sich auf Beziehungen einlassen zu können, sich in einer Beziehung sicher und geborgen zu fühlen und auch dem Partner Sicherheit zu vermitteln, liegt in der allerfrühsten Kindheit und wird in der Mutter-Kind Beziehung entwickelt und gefördert.
Die Fähigkeit, sich zu binden entsteht, wenn das Kind sich in der Beziehung gesehen, geschützt und wohl fühlen kann. Wenn das Kind die Sicherheit bekommt, dass auf seine Bedürfnisse eingegangen wird und es nicht alleine gelassen wird.
Bindungsangst entsteht, wenn Menschen diese Erfahrungen in der frühen Kindheit nicht ausreichend machen konnten, oder aber auch wenn man im Erwachsenenalter viele unsichere und schlechte Erfahrungen in Beziehungen erlebt hat. Diese Bindungs- oder Beziehungsangst verhindert, dass Menschen vertrauensvolle, intensive und verbindliche Beziehungen aufbauen können.
Beziehungs- und Bindungsfähigkeit sind Eigenschaften, oder besser, psychische Funktionen, die notwendig sind um sich auf stabile, innige Beziehungen zu anderen Menschen einlassen zu können. Ist die Bindungsfähigkeit nicht ausreichend stabil, führt dies immer wieder zu großen Schwierigkeiten in Beziehungen und Kontakten.
Die Ursachen hierfür können beispielsweise sein:
- Der Verlust einer Bezugsperson in der frühen Kindheit
- Der unerfüllte Wunsch nach Nähe und Geborgenheit und „gesehen werden“
- Konflikte der Eltern, oder aber auch eine distanzierte Elternbeziehung, denn leben die eigenen Eltern selbst eine distanzierte Partnerschaft oder haben eine sehr distanzierte Beziehung zu ihrem Kind, lernen die Kinder, sich in der gleichen Art und Weise anderen gegenüber zu verhalten
- Auch eine „überbehütete“, enge oder symbiotische Beziehung zu einem Elternteil kann Auslöser für eine Bindungsstörung sein
- Ebenso wie ein „nicht verlässliches“ Elternhaus – sprich, das es keine Kontinuität, keine Klarheit, sondern viel Unausgesprochenes oder Unverbindliches in der Beziehungsgestaltung gab.
Menschen mit Bindungsängsten haben aufgrund alter Verletzungen und Enttäuschungen Angst, sich auf intensive Beziehungen einzulassen. Ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit ist ihnen ausgesprochen wichtig und sie haben große Angst vor dem Verlust „ihrer persönlichen Freiheit“. Aufgrund der unguten Erfahrungen in der Kindheit bedeutet „Abhängigkeit“ nichts Geborgenes oder Umsorgtes, sondern das pure, wehrlose, machtlose und hoffnungslose Ausgeliefertsein.
Abhängigkeit hat für sie etwas mit Unterwerfung zu tun- im Gegensatz zu „gesunden Beziehungen“ in denen ein stimmiges Gleichgewicht zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit austariert werden kann, – und insofern ist es gut nachzuspüren, dass jemand mit solchen unangenehmen Erfahrungen sich mit Händen und Füßen gegen feste Bindung und Abhängigkeit wehren muss. Nähe wird oftmals gleichgesetzt mit Abhängigkeit, so dass die meisten Menschen mit Bindungsangst – auch wenn sie Beziehungen führen – sich am wohlsten fühlen, wenn der Partner nicht in der Nähe ist.
Auch wenn die gemeinsame Zeit intensiv und wunderbar gelebt werden kann, so doch nur auf begrenzte Zeit. Ist man sich „zu lange nah“ entsteht ein Gefühl von Enge und Gefangensein – welches dann den Rückzugs- oder Fluchtimpuls auslöst.
Oftmals zeigen sich Bindungsängste in einem introvertierten Lebensstil, das Single-Dasein oder offene Beziehungen werden glorifiziert und es fällt den Menschen schwer, Verantwortung für Freunde, Partner und Familie zu übernehmen. Es besteht eine unglaubliche Angst und Abwehr vor den „Erwartungen“ der Anderen, denn hinter den Erwartungen verbirgt sich für einen Menschen mit Bindungsängsten immer die Angst, zu enttäuschen, nicht zu genügen oder abgelehnt zu werden.
Das Selbstwertgefühl von Menschen mit Bindungsängsten ist häufig gering. Sie haben eine (unbewusste)negative Einstellung zu sich selbst und schützen sich, indem sie niemanden wirklich an sich heranlassen. Es besteht große Angst dass dadurch, sich jemandem zu öffnen, und jemanden wirklich zu lieben, weitere Verletzungen entstehen. Man könnte also sagen, eine Bindungsangst entsteht unbewusst als Schutz vor Verletzungen.
Einige Merkmale bei Menschen mit Bindungsängsten sind:
- Angst vor Entscheidungen und Zukunftsplanung
- Unverbindlichkeit
- Angst vor Erwartungen des Partners
- Ein schlechter Zugang zu intensiven Gefühlen, auch das Sprechen über Emotionen fällt sehr schwer
- Rückzug aus intensiven Beziehungen
- Häufig wechselnde Partner
- Emotionale Nähe und Distanz wechseln sich ab
- Hohes Sicherheitsbedürfnis (für sich selbst)
Wie kannst du nun umgehen mit einem Partner, der unter Bindungsängsten leidet – oder was kannst du tun, wenn du selber Angst hast, dich auf eine feste und intensive Beziehung einzulassen?
Es ist zum ersten einmal gut, um die Problematik zu wissen und ein Verständnis für sich/ oder aber den Partner zu entwickeln, und einen Zugang zu den Ursachen der eigenen Ängste zu bekommen.
Die Angst zu erkennen, ist der erste Schritt. Wenn du verstehst, woher diese Ängste kommen, dass die scheinbare Gleichgültigkeit, das Genervt sein oder die Enge aus schmerzhaften Kindheitserinnerungen kommen, dass sie etwas mit Erfahrungen des Ausgeliefertseins oder der kindlichen Abhängigkeit zu tun haben, kannst du ganz anders mit ihnen umgehen und kannst dich nun bewusst entscheiden, auch wenn es zunächst sehr schwer fallen mag, dich auf neue, und andere Erfahrungen einzulassen.
Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man jetzt erwachsen ist, keinesfalls ohnmächtig oder ausgeliefert, sondern sich selber entscheiden kann, handeln kann, etwas verändern kann.
Verallgemeinert kann man sagen, dass Veränderung möglich ist, wenn sich die Menschen, welche unter Bindungsängsten leiden, darauf einlassen, neue Erfahrungen zuzulassen und positive, andere Erfahrungen „spüren“ können. Die Erfahrung zu machen, dass man so, wie man ist, angenommen wird.
Im Umgang mit Menschen mit Bindungsängsten geht es (im Prinzip wie in jeder anderen Beziehung auch) um grundlegende und Vertrauen schaffende Eigenschaften wie Respekt, Wahrnehmung und Achtsamkeit. Letztendlich ist es nur verständlich, dass es für das Aufbauen von Vertrauen und um das Loslösen von alten, verletzenden und enttäuschenden Beziehungserfahrungen viel Zeit und Behutsamkeit braucht.
Daher ist es ungemein wichtig, in einer Beziehung mit einem Menschen, der Angst vor Bindung hat, nichts zu fordern oder zu erwarten, sondern ihm Zeit zu geben, die Beziehung zu dir nicht mehr als bedrohlich zu erleben.
Als Bindungsphobiker solltest du dir des Weiteren bewusst werden über deine Ängste, abgelehnt zu werden und den Erwartungen des Gegenübers nicht zu genügen. Aus diesen Ängsten heraus ist es so wichtig, die Menschen auf Abstand zu halten. Es ist ein verständlicher Schutz dein Selbstwertgefühl zu schützen, aber du solltest versuchen, einen Umgang mit diesen Ängsten zu finden, dich diesen Ängsten zu stellen.
Dir ist Unrecht geschehen- aber versuche nun, einen Ausweg aus diesem Unrecht zu finden indem du dir selber neue Erfahrungen schenkst und dich nicht in deiner Einsamkeit belässt.
Tatsache ist, dass Menschen, die unter Bindungsängsten leiden, keine guten und sicheren Erfahrungen in ihrer Kindheit machen konnten und insofern auch nie lernen und spüren konnten, wie eine gute, intensive und sichere Bindung sein kann. Die Ängste, die sie erleben, sind durchaus ernst zu nehmen und behutsam mit ihnen umzugehen. Es ist aber ebenso wichtig, aus der Rolle der früheren Erfahrungen heraus treten zu können.
Sich bewusst zu werden, dass es sich um alte, teilweise um sehr alte, Erfahrungen handelt. Oftmals verbleiben Menschen mit frühen unguten Bindungserfahrungen in der Rolle des „Opfers“ (ausgeliefert, machtlos, hilflos).
Daher ist es wichtig, sich dessen bewusst zu werden, dass du heute „kein Opfer“ mehr bist! Und dazu gehört es eben auch, sich mit den alten Erfahrungen, Ängsten und Ursachen der Bindungsangst auseinander zu setzen. Es ist entscheidend, sich mit sich selber und seiner Geschichte auseinander zu setzen und ein Verständnis für sich und sein Handeln zu entwickeln – dann kann ein Ausbrechen aus der „Opferrolle“ möglich werden.
Des Weiteren ist es eine Aufgabe, „den Mittelweg“ zu finden. Menschen mit Bindungsängsten haben es nicht ausreichend gelernt, eigene Gefühle und Bedürfnisse wahr und ernst zu nehmen. Daher fällt es so schwer, sowohl mit unangenehmen, als auch mit angenehmen Gefühlen umzugehen. Das ist der Grund, warum Kontakte mit „Beziehungsphobikern“ teilweise enorm intensiv und innig sein können. Wenn sie kurzweilig Hunger nach Nähe verspüren, dann leben sie sie intensiv.
Doch sobald sie merken, dass nun Abhängigkeit und Bedürfnis in ihr Leben treten, wehren sie sich mit Händen und Füßen und gehen in den Rückzug. Ein Lernen und das Fühlen eines Gleichgewichts aus Nähe und Distanz ist daher ausgesprochen wichtig und heilsam.Wenn Sie es schaffen, dem Partner das Gefühl von Sicherheit zu geben, eine vertrauensvolle und verständnisvolle Beziehung aufzubauen und ihn nicht fordern, sondern seine Ängste wahrnehmen und ernst nehmen, schaffen Sie einen Basis, um neue, gute Erfahrungen machen zu können.
Es ist wichtig, der Nähe und der Bindung ihre „Bedrohlichkeit“ zu nehmen und mit Ruhe und Zeit Sicherheit und Verlässlichkeit aufzubauen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass für eine Veränderung und den heilsamen Umgang mit Bindungsängsten folgende Eigenschaften von großer Bedeutung sind:
- Das Verständnis für sich selbst und seine eigene Lebensgeschichte
- Eine ernsthafte Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten
- Die Motivation – und auch der Mut – sich auf neue und andere Beziehungserfahrungen einzulassen
- Vertrauen
- Das Bewusstmachen der eigenen Handlungsfähigkeit, das Heraustreten aus der „Opferrolle“
- Und letztendlich der Aufbau und die Festigung eines stabilen Selbstwerts
Für Partner von Bindungsängstlichen Menschen ist das Wissen und das Verständnis all dieser Themen und Eigenschaften von großer Wichtigkeit. Es kann große Erleichterung schaffen, zu wissen, dass das Verhalten des Partners nichts mit der eigenen Person oder der Beziehung an sich zu tun hat, sondern dass alte Ängste und Unsicherheiten des Partners einer innigen und intensiven Beziehung im Wege sind.
Wichtig ist es, den Partner nicht zu überfordern, zu erwarten oder ihn zu Entscheidungen zu nötigen. Der Umgang und die Veränderung von Beziehungs- und Bindungsängsten erfordert viel Verständnis, Geduld und Zeit.
In jedem Falle solltest Du darüber nachdenken, Dir Hilfe von außen zu holen, sei es durch Selbsthilfeliteratur oder auch durch eine unterstützende Therapieform. Insbesondere, wenn die Angst vor Beziehung, Bindung und Nähe immer wieder zu Beziehungsabbrüchen führt oder aber einen großen Leidensdruck mit sich führt. Oftmals brauchen Menschen mit unguten, verletzenden, enttäuschenden oder stark verunsichernden Beziehungserfahrungen Hilfe von Außen, um die alten Erfahrungen verarbeiten zu können und sich von ihnen lösen zu können, um sich dann neuen Erfahrungen zu öffnen.
Eine praktische Anleitung zum Thema Bindungsangst und wie Du Bindungsängste verstehen und überwinden kannst, findest Du in unserem Ratgeber.
Juliana meint
Vor drei Jahren hatte ich eine desaströse Beziehung mit einem Bindungsphobiker, nach einer kurzen extrem verliebten Phase zog er sich immer mehr zurück, versetzte mich ständig, redete am Telefon über mich von „einer Bekannten“, kritisierte an mir herum, in andere Momenten war es aber dennoch so schön und intim, wie ich es selten kannte.
Zum Schluss war ich total schizophren, dieses ständige „komm her, bleib weg“ ist auch sehr verletzend, ich habe selbst körperlich extrem drunter gelitten, abgenommen und mein Selbstwert sank.
Ich habe dann versucht, seine Kontaktversuche nach der Trennung abzublocken, ihn gesperrt, aber er fuhr regelmäßig bei mir vorbei (wir wohnen nicht weit), ich hatte mich tatsächlich echt gestalked gefühlt, ich konnte nicht wirklich Abstand bekommen. Im Supermarkt, wenn wir uns sahen, lief er panisch vor mir weg (woran er sich angeblich nimmer erinnert).
Nun vor drei Monaten dachte ich, ich bin drüber und wir hatten wieder Kontakt (weil ich endlich Frieden wollte und das versteck Spiel mir total auf den Nerv ging). Schon gleich zu Beginn redete er(!) von „wieder versuchen“ und wie er mich vermisst hat, weitere liebevolle Dinge, was natürlich meine Gefühle wieder weckte, wo ich eigentlich dachte, ich bin inzwischen weg davon.
Er ist zwar immer vor einem Gespräch weggelaufen, hat mich aber dennoch zwischendurch (immer beim Abschied) geküsst. Also jede Grenze die überschritten wurde, wurde von ihm überschritten. Ich war wirklich abwartend, von mir kam nichts, ich beobachtete nur und versuchte emotinal draussen zu bleiben, was natürlich nicht ganz klappte.
Erst diese Woche hatten wir ein Gespräch.
Nun habe ich ihm vorgeschlagen, weil Abstand nichts half, Freundschaft nicht klappt und Beziehung so auch nicht klappt, ob wir es nicht einfach ganz frei, ohne jegliche Erwartungen versuchen wollen.
Das war – wie ich dachte – mein letzter Ausweg. Es kamen wieder die exakt selben Floskeln, er wisse nicht, ob er genug verliebt ist, er stritt ab, was er noch paar Tage vorher am Telefon sagte (was seine Gefühle zu mir betrifft), etc.
Nun habe ich vorgestern den Begriff Bindungsphobiker (aktiv und passiv) bzw. das Phänomen Co-Abhängigkeit entdeckt und mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Ich bin noch nicht ganz drüber, aber es ändert sehr viel. Ich verstehe ihn immer noch, und er hat WIRKLICH Angst, das weiß ich, deshalb war ich ja auch immer so verständnisvoll. Ich sehe natürlich auch meinen Anteil – dass ich scheinbar schon auch Angst vor Nähe habe. Irgendwann siegt jedoch die Selbstliebe, vor allem dadurch, dass ich ENDLICH VERSTEHE, was da abgeht (Halleluja). Ich kann ihn weiter lieben, aber ich muss ihn nicht mehr „haben“, denn an sich ist mein Leben schön und ich bin glücklich. Und ich denke, jetzt wo ich das erkannt habe, werde ich auch in Zukunft so etwas nicht mehr akzeptieren (hoffentlich).
Ich habe das Buch bestellt und denke (und hoffe), dass ich mich dadurch von der Situation distanzieren kann. Ich weiß gar nicht, ob es helfen würde, ihm meine Erkenntnisse mitzuteilen, ob er dann noch mehr weg läuft, aber ich weiß, ohne Bereitschaft von ihm, das anzuschauen, bin ich auch zu keiner weiteren Interaktion bereit, denn das ist einfach destruktiv. Und ganz ehrlich bezweifle ich, dass er das anschauen würde, ausser der Leidensdruck wäre so hoch, aber eigentlich müsste ihm das irgendein Freund sagen, anstatt ich.
Wie auch immer, ich bin gerade sehr dankbar für alle Erkenntnisse der letzten Tage. Und es war auch gut, es mir nochmal mit Abstand anzuschauen, denn nur daurch konnte ich verstehen, dass ich damals vor drei Jahren nicht verrückt war. Dass es dafür einen Namen gibt und ich nicht die einzige bin, der es so gegangen ist.
Bindungsangst meint
Hallo, die Website gefällt mir richtig gut. Vor allem das Thema Bindungsangst verstehen, finde ich wirklich großartig!
Danke dafür und liebe Grüße.